Von meiner Mutter habe ich die Form der Hände geerbt – das ist die einzige Ähnlichkeit, die man uns attestieren kann, ohne einen Sturm beidseitiger Entrüstung zu ernten. Aber damit leider nicht zwangsläufig ihre fast schon legendären grünen Daumen. Im Umgang mit ihren Pflanzen nutzte sie regelrecht mafiöse Einschüchterungen: »Schöne Blätter hast du da. Wäre doch schade, wenn ich vergessen würde, dich zu gießen.« Oder auch: »Wenn du kommende Woche nicht blühst, lass ich dich auf der Terrasse überwintern.«

Dazu gab es ergänzend Doping: Nicht nur Kaffeesatz kam zum Einsatz, sondern auch ausgediente Medikamente; eine Kombination, die Wunder wirkte. Und wenn sie uns als Kinder zum Friseur begleitete (sobald wir uns gegen ihre Eigenschnitte wehren konnten), nahm sie unser abgeschnittenes Haar mit nach Hause, um damit die Wurzeln ihrer Topfpflanzen zu wärmen, wie sie es nannte.

Ich fand es leicht gruselig und war mir fast sicher, sie würde uns ohne zu zögern die Köpfe rasieren, wenn es der Wachsblume nützen würde. Ihr Verhältnis zur Flora war schon sehr emotional. Eine Theorie meiner Mutter besagt, dass Blumen nie so schön blühen, wie wenn ihr Besitzer im Sterben liegt. Als eine Nachbarin einmal ihren gesundheitlichen Zustand beklagte, versetzte meine Mama deshalb nur lapidar: „Stellen Sie sich nicht so an. So kümmerlich, wie Ihre Blumen sind, kann’s Ihnen gar nicht so schlecht gehen!“

Bis vor wenigen Jahren hat sie einen recht großen Gemüsegarten allein bestellt. Dazu gehörte die Schneckenpatrouille, bei der sie früh morgens und spät abends mit Messer und leerem Joghurtbecher bewaffnet ihre gnadenlosen Runden drehte. Die Beute im Becher hat sie mir hinterher zu meinem Entsetzen gern unter die Nase gehalten. Um frische Saaten vor Amseln zu schützen, hat sie Zwirnfäden gespannt – aber nur einmal, weil letztendlich sie diejenige war, die sich darin immer verhedderte. Sie lehrte uns, nie alle Samen derselben Sorte gleichzeitig auszubringen, um nicht von der Fülle einer gleichzeitigen Ernte erschlagen zu werden – eine Lektion, die an meinen Bruder und seine Legion von Winterrettichen verschwendet war.

Weil sie das kalte Wasser aus dem Schlauch ihren Pflanzen nicht zumuten wollte, füllte sie das Steinbecken immer mit Wasser, aus dem sie jeweils zwei Gießkannen vollschöpfte. Eine in jeder Hand, stieg sie dann die fünf Stufen zum Gemüsebeet hoch, ein Bild seltener Ruhe und Beschaulichkeit. Ein weiteres schönes Bild war, wenn sie stillvergnügt Löwenzahnstengel knabberte, die sie extra für diesen Zweck anbaute: Gut zur Blutreinigung und zur Irritation der Nachbarn.

Meine Mutter verabscheut nach wie vor Schnittblumensträuße. Ihr blutet das Herz, ihnen beim Verwelken zuzusehen. Aber sie liebt kleine Blumengestecke, die sie mit Steckigelchen zu jeder Jahreszeit improvisierte. Und wenn der eigene Garten keine Blüten hergab, dann mit Sicherheit irgendein anderer in der Nachbarschaft.

Das nannte sie, ansonsten eine überkorrekte Schwäbin, eiskalt „organisieren“. Manchmal hat sie die Nachbarn auch vorher gefragt, ob es in Ordnung sei, dass sie sich bediene – aber auf eine Weise, die dem Gegenüber garantiert nur eine Antwort erlaubte.

Als ihr der Garten zu viel wurde, sähte sie eine Bienenweide. Wie schwer es ihr gefallen sein muss, ihn aufzugeben und Supermarktsalat zu essen, den sie als hart und geschmacklos beklagte, kann ich erst jetzt nachvollziehen. Gern denke ich an die Abende in meiner Kindheit, wenn ich meine Mutter über den Gartenzaun mit ihren Tomaten angeben hörte. Und wenn ich jetzt Freunde stolz durch meinen Garten führe und sie auf jede neue Blüte aufmerksam mache, denke ich, dass ich von ihr doch mehr geerbt habe als nur die Form der Hände.